Tag 229: Mahoba – Varanasi

Freitag 27.1.84, Mahoba – Varanasi
(Ekke) Im Zug fürchterlich gefroren. Dann Durchfall bekommen, etwa so als wenn Anne pinkelt. Und kein Klopapier. Nervtötende Ritschkafahrerei. In der Om Lodge abgestiegen. Etwas kaputt, aber doch ganz gut (Anne!). Dann zum Bahnhof. Fahrkarten gekauft. Vorher noch Geld getauscht – das übliche Chaos, Anne war richtig sauer.
(Anne) Gegen 16 Uhr dann zum Ganges runter gelaufen und an den Ghats entlang bis zum „Burning Ghat“. Die Stimmung war irre schön, mir fällt nichts weiter ein als „heilige Ruhe“. Trotz streunender Hunde und der Postkartenverkäufer. Ich habe nur aus einiger Entfernung zugeschaut, aber Ekke ist hingegangen und hat zugeschaut. Hinterher war die Stimmung ganz ruhig. Ich weiß jetzt, dass der physische Leib nur zur Benutzung da ist, unser Ich ist da nicht mehr drin, wenn wir tot sind. Eigentlich habe ich jetzt keine Angst mehr, alles ist ruhig, natürlich und sicher.
(Ekke) Dieses Verbrennen der Toten ist irre, wie die Flammen die Knochen freilegen – wie man durch die Hitze verzerrt die Menschen im Fluss baden sieht, wie die Reste in den Fluss geworfen werden. Und dieser brutale Geruch von den „Bratwürstchenständen“ auf dem Sommerfest der Waldorfschule.

Anmerkung: Varanasi gilt als eine der ältesten durchgängig bestehenden Städte der Welt (weit mehr als 3000 Jahre) und diesen Eindruck erlebten wir dort sehr stark. Die Geister der Ahnen waren da spürbar, wenn man das etwas esoterisch formulieren möchte.

Die Ghats, insbesondere das „Burning Ghat“ war sehr beeindruckend und natürlich muss ich gerade jetzt an Annes Einäscherung, am 29. Juli letzten Jahres denken, die doch so anders war als dort. Viele Menschen kommen zum Sterben nach Varanasi, sie haben das Geld für das nötige Holz eingenäht in der Kleidung. Und dann liegen die Körper, eingewickelt in ein Stück Stoff und „schmelzen“ dahin. Aber es wäre nicht Indien gewesen, wenn all die heilige Ruhe nicht durch das unablässige Treiben des Lebens übertönt worden wäre. Postkartenverkäufer, Fotografen, Hunde die sich um die Reste streiten, Angehörige, die um die Menge des Holzes feilschen, dazu der Geruch von Grillfleisch, der nun gar nichts mit dem Tod gemein hat, sondern eher das pure ungesunde Leben repräsentiert.
Die Unterkunft war äußerst einfach. Anne war wenig amüsiert, weil während der Nacht die Mäuse durchs Bett huschten, mir war es nach den Strapazen der vergangenen 36 Stunden eigentlich egal.

Das Foto zeigt die enge Gasse die zu unserer Unterkunft führte und in die sich auch gelegendlich die ewig hungrigen Kühe verirrten.

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